Die anderen Könige – Les autres rois. Königtum als Hierarchiebegriff in der spätmittelalterlichen Gesellschaft – Études sur la royauté comme notion hiérarchique dans la société du bas Moyen Âge

Die anderen Könige – Les autres rois. Königtum als Hierarchiebegriff in der spätmittelalterlichen Gesellschaft – Études sur la royauté comme notion hiérarchique dans la société du bas Moyen Âge

Organisatoren
DHI Paris mit finanzieller Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
20.04.2007 -
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Von
Johannes Abdullahi; Torsten Hiltmann; Caterina Kähler

I. LES AUTRES ROIS (Torsten Hiltmann, DHI Paris)
Nach der Begrüßung durch den Direktor des Instituts, Herrn Werner Paravicini, hielt Torsten Hiltmann (DHI Paris) als Veranstalter des Ateliers den einleitenden Vortrag. Torsten Hiltmann sprach sich gegen ein verengtes Verständnis des Königtums als rein politischen Begriff aus. Bereits die Anwendung der Bezeichnung „König“ auch in anderen Bereichen (Gott als König des Himmelreiches, die Sonne als König der Planeten, der Löwe als König der Tiere) zeigt, dass der Begriff im Spätmittelalter wohl deutlich weiter gefasst wurde. Hinter diesem verbarg sich vielmehr eine eigene Denkweise, die Umwelt und Gesellschaft in einer klaren Hierarchie strukturierte und somit zu verstehen half. Vor diesem Hintergrund gelte es die anderen Könige einzuordnen. Im Spätmittelalter tatsächlich weit verbreitet, sind diese grob in zwei Gruppen zu unterteilen Institutionelle bzw. Berufskönige, welche einem bestimmten Metier vorstanden und ihr Amt unbefristet ausführten; sowie die Festkönige, die im Zusammenhang mit einem Fest standen und ihre Würde nur für eine bestimme Zeit, meist für ein Jahr inne hatten. In der Forschung weitgehend nur als Umkehrung oder Verspottung der politischen Macht missverstanden – obgleich die Zeitgenossen mit dem parallelen Gebrauch des Begriffes keine Probleme hatten – blieb der Blick auf die soziale Bedeutung der anderen Könige bisher verstellt. Denn ganz anders als bisher wahrgenommen, kamen ihnen in ihren jeweiligen Gruppen auch ganz reelle, ordnende bzw. organisatorische und repräsentative Funktionen zu. Das Thema birgt letztlich auch wichtige Konsequenzen für die Interpretation des politischen Königtums, war mit den anderen Königen der Königsgedanke damit doch deutlich präsenter in der spätmittelalterlichen Gesellschaft und eben nicht nur dem politischen König als solchem vorbehalten.

II. DIE INSTITUTIONELLEN KÖNIGE – LES ROIS INSTITUTIONNELS
Unter der Leitung von Marc Boone (Gent), widmeten sich die Vormittagssitzungen den institutionellen bzw. Berufskönigen.

II.1 LE ROI DES MENESTRELS, LE MENESTREL DU ROI? (Martine Clouzot, Dijon)
Martine Clouzot (Dijon) sprach über die Könige der Spielleute (rois des menestrels). Während die Quellenlage für das 13. bis Mitte 14. Jahrhundert dürftig sei und im wesentlichen auf poetisch-literarischen Texten beruhe, ermöglichen für das 14. und 15. Jahrhunderts die zunehmend differenzierteren Rechnungsbücher eine genauere Aufarbeitung. In ihrem Vortrag unterschied Martine Clouzot die hierarchischen Strukturen in Städten und an den fürstlichen bzw. königlichen Höfen: So standen die städtischen Menestrelenkönige an der Spitze von Zünften, Bruderschaften – wobei die Begrifflichkeiten hier im Sinne von Chef, Meister oder Major variieren konnten – und der in Nordfrankreich tätigen literarischen Akademien (puys). Für deutsche und italienische Fürstenhöfe des 14. und 15. Jahrhunderts ließen sich zwar Musikanten, aber keine Menestrelenkönige nachweisen, während der burgundische Fürstenhof sowie der englische und französische Königshof über solche verfügten. Der Menestrelenkönig in den städtischen Korporationen wurde ob seiner herausragenden Fähigkeiten von der Gemeinschaft auf ein Jahr gewählt; an Fürsten- und Königshöfen hingegen erfolgte die Ernennung durch den jeweiligen Herren und hing vom entsprechenden Dienst- und Vertrauensverhältnis ab. Als Dienstmann seines Herren empfing der Menestrelenkönig an Fürsten- und Königshöfen zudem Gagen und Geschenke, die er unter seinen Gefolgsleuten weiterverteilte; als Vorsitzender einer städtischen Korporation hatte er ebenfalls Anspruch auf gewisse Abgaben. Die geographische Weite seines Reiches konnte von einer Stadt über die fürstlichen Besitzungen bis hin zu einem gesamten Königreich variieren, seine Aufgaben umfassten die Rechtsprechung unter Musikern, die Organisation der Musikantenausbildung und die Leitung von Zeremonien.

II.2 LE ROI D’ARMES DANS LE PAYS-BAS BOURGIGNONS A LA FIN DU MOYEN ÂGE (Henri Simmoneau, Lille III)
Das Amt der Wappenkönige ist am Ende des Mittelalters in steter Entwicklung. Während der „König der Herolde“ des 14. Jahrhunderts die largesse des Fürsten unter den Herolden und Persevanten verteilte, erlangte derselbe unter der sich im 15. Jahrhundert für dieses Amt durchsetzenden Bezeichnung „König der Wappen“ bei weitem wichtigere Privilegien. In seinem Beitrag stellte Henri Simonneau den Text einer burgundischen Ordonnanz vom Ende des 15. Jahrhunderts vor, welche den Wappenkönig einerseits in der Verantwortung für die ihm untergebenen Herolde und Persevanten und damit auch in einer juristischen Rolle zeigt, ihm zum anderen aber auch die Erfassung des burgundischen Adels und die Kontrolle von dessen Wappen überträgt. Dabei ist im Text zugleich von Visitationen wie von der Existenz eines Heroldskollegs in Burgund die Rede, wozu bisher jedoch noch nichts bekannt ist. Doch vor allem wird Thoison d’or, der Wappenkönig des gleichnamigen Ritterordens, hier erstmals als „erster Wappenkönig“ bezeichnet, der damit über den einzelnen regionalen Wappenkönigen steht (Brabant, Flandern, Hennegau, Artois, Ruyers), womit wir es hier mit einem König der Könige zu tun haben. Diesem gelang es auch, sich spätestens am Anfang des 16. Jahrhunderts als erster Vermittler zwischen Fürst und Heroldsamt zu etablieren. Nach Henri Simonneau läßt sich in dieser Entwicklung einerseits ein englischer Einfluss beobachten. Zugleich repräsentiere diese aber auch eine wichtige Etappe im Transformationsprozeß, welchen das Heroldsamt zwischen Spätmittelalter und Frühneuzeit durchlief.

II.3 THE SCOTTISH KING OF ARMS. LYON’S PLACE IN THE HIERARCHY OF THE LATE-MEDIEVAL SCOTTISH ELITE (Katie Stevenson, University of St. Andrews)
In den Quellen lässt sich Lyon bereits seit dem Ende des 14. Jahrhunderts nachweisen (1377 Lyon Herald, 1388 Lyon King of Heralds). Sein Amt war sicherlich auch das älteste unter den schottischen Heroldsämtern, doch als einziger und alleiniger Wappenkönig im Dienst der Krone ist er erst ab 1412 zu fassen. In dieser Funktion nahm er neben wichtigen diplomatischen und zeremoniellen auch rechtliche bzw. gerichtliche Aufgaben wahr und war zudem für die Sammlung heraldischer Informationen verantwortlich. Bereits im 15. Jahrhundert besaß Lyon dabei auch eine gewisse Sanktionsgewalt über die ihm untergeordneten Herolde, über die er richtete, wie im Übrigen auch über alle anderen officers of arms wie Boten etc. Zu Art und Weise der Krönung des Wappenkönigs ist bisher wenig bekannt, doch war sie offensichtlich auch Bestandteil der Krönung des schottischen Königs selbst. Als Zeichen seines Amtes trug Lyon eine Krone, die bis auf die fehlenden Edelsteine der des schottischen Königs identisch war. In der Ausführung seines Amtes war er letztlich jedoch nicht direkt dem schottischen König sondern dem marishal und dem constable sowie auch dem Parlament verantwortlich, womit seine Königswürde letztlich doch nicht dem souveränen Königtum des schottischen Königs selbst vergleichbar ist.

II.4 LE ROI DES RIBAUDS (Franck Viltart, DHI Paris/Lille III)
Die Herrschaft des Königs der ribauds erstreckte sich über eine Bevölkerung, die am Rande der spätmittelalterlichen Gesellschaft stand. Schwierigkeiten bereitete hier vor allem die schwankende Bedeutung des Begriffes der ribauds, der Vagabunde wie Räuber bezeichnen und sich auch auf das Milieu der Prostitution ausdehnen konnte. Franck Viltart zeigte in seinem Vortrag auf, wie sich vom 13. bis zum 15. Jahrhundert der roi des ribauds von einem Chef militärischer Hilfstruppen zu einem wichtigen Amtsträger entwickelte, der in unterschiedlichen Funktionen am herrschaftlichen Hofe wie in den Städten zu finden war. Meist oblagen ihm die Überwachung der Prostitution, des Glückspiels, der umherziehenden Spielleute, die Aufsicht bei Feiern und Festen und die Ahndung kleinerer Verbrechen innerhalb dieser Gruppe. Die Nähe zu einem ehrlosen und ruchbaren Milieu führte ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zum Verschwinden des Amtes, dessen Aufgaben dann öfters vom Henker übernommen wurden.

II.5 LES ROIS DES COMPAGNONS (Katharina Simon-Muscheid, Bern)
Im Spätmittelalter bildeten Gesellen nach dem Vorbild von Handwerkerbünden und mobilen randständigen Gruppen im Gebiet des Oberrheins und in der Schweiz regionale Vereinigungen und erwählten Könige an deren Spitze. Diese wirkten, so Katharina Simon-Muscheid in ihrem Vortrag, einerseits stabilisierend auf die unstrukturierten Verbände und waren zugleich deren augenfälligstes Symbol. Gegen den Widerstand der Meister und Städte gelang es insbesondere den Schmiede- und Schuhmachergesellen, sich zu organisieren. Die Meister befürworteten die Wahl von Königen, da diese kontrollierend einwirken konnten. Doch mussten sich beispielsweise die gleichfalls in einem Königreich zusammengeschlossenen Schustergesellen 1421 in einem Schiedsgerichturteil der Schustermeister verpflichten, jegliche gegen die Meister gerichtete Handlungen zu unterbinden. Die Haltung gegenüber den Gesellenvereinigungen änderte sich, als diese auch die Meister ihrem Urteil unterwarfen und durch Boykott zum Nachgeben zwangen, aber auch, weil sie sich insgesamt als überregionale Organisation der Gerichtsbarkeit der Zünfte entzogen. So wurde 1424 in Rheinfelden ein Verbot der interregionalen Gesellenvereinigungen und ihrer Könige ausgesprochen. Sicherlich kam den Gesellenkönigen auch eine Rolle bei den rituellen Aufnahmehandlungen der neuen Gesellen zu, jedoch sind diese Aufgabenbereiche bisher noch wenig erforscht.

II.6 LE ROI DE LA BASOCHE (Marie Bouhaik-Gironès, Amsterdam)
Als letztes Beispiel zu den institutionellen Königen stellte Marie Bouhaik-Gironès (Amsterdam) die Könige der Basoche vor (abgeleitet von basilica, Tribunal), der Vereinigung der Schreiber und Kanzleigehilfen des Pariser Parlaments. Der Legende nach 1303 von Philippe Auguste gegründet, bildete sie sich tatsächlich wohl erst deutlich später heraus. Da die Archive der Vereinigung selbst verloren sind, läßt sich das Bild für das 15. Jahrhundert nur indirekt aus späteren bzw. fremden Quellen rekonstruieren. Neben der Vertretung der beruflichen Interessen ihrer Mitglieder und der Organisation von deren Ausbildung oblag es der Basoche vor allem, Zwistigkeiten zwischen ihren Angehörigen zu schlichten und kleinere Vergehen zu bestrafen. Diese Aufgabe kam ihrem Repräsentanten, dem König der Basoche zu. Frau Bouhaik-Gironès zeigte, wie dessen Rechtssprechung, die später sogar Souveränität für sich behauptete, vom Parlament erst zurückgewiesen, spätestens seit Beginn des 16. Jahrhunderts jedoch geduldet und sogar gefördert wurde. Neben der Disziplinierung nach innen, war es weitere Aufgabe dieses Königs, die Belange seiner Untergebenen nach außen hin zu vertreten und, nicht zuletzt bei den bekannten Festen der Basoche, auch repräsentative Aufgaben wahrzunehmen. Nach ihrem Vorbild bildeten sich seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an weiteren Institutionen in Paris wie an den Provinzparlamenten und in zahlreichen Städten eine größere Zahl weitere Basoches heraus.

III. DIE FESTKÖNIGE – LES ROIS FESTIFS
Martin Kitzinger (Münster) übernahm die Leitung der Nachmittagssitzungen, die sich thematisch mit den Festkönigen und den Königsbildern in der spätmittelalterlichen Gesellschaft befassen sollten.

III.1 PRINCES, ROIS ET TITRES DANS LA PRATIQUE DES CHAMBRES RHÉTHORIQUES EN FLANDRE (Anne-Laure van Bruaene, Gent)
Anne-Laure van Bruaene ließ die Investituren der verschiedenen festliche Würdenträger in den spätmittelalterlichen Niederlanden Revue passieren um daraufhin genauer auf die Herausbildung der Rhetorikerkammern einzugehen. Diese sind sowohl den sociétés joyeuses aus dem frankophonen Bereich verwandt – Festgruppen, denen in burlesken Investituren eingesetzte Fürsten, Äbte oder Könige vorstanden – , wie auch den puys mariales, literarischen Akademien zum Lobpreis der Maria mit ebenfalls einem, hier jedoch nicht burlesken prince an der Spitze. Während die Rhetorikerkammern ihr literarisches Potenzial deutlich erweiterten, verlor die burleske Investitur allmählich an Bedeutung, wie sich innerhalb der Quellen auch in der Überlagerung der genauen Titel der festlichen Würdenträger durch den einfachen Begriff „Titel“ (titels) zeigt. Dennoch blieb in den Rhetorikerkammern der jährlich gewählte prince eine Schlüsselfigur. Er saß den literarischen Wettbewerben vor, führte die Zeremonien und mußte die Bankette und Preise finanzieren. Die Bedeutung dieser verschiedenen anderen Würdenträger sieht Anne-Laure van Bruaene letztlich weniger bei diesen selbst als in der Struktur, welche diese ihren jeweiligen Gruppen auferlegten und damit einer komplexen, im ständigen Wandel befindlichen Gesellschaft (wie der der städtischen Niederlande am Ende des Mittelalters) durch die Übernahme rigider Hierarchiemodelle zumindest die Vorstellung von klaren Strukturen entgegensetzten, in welche sich Individuen, aber auch die Beziehungen zwischen Gemeinden und Städten einordnen ließen. Die verwendeten Titel konnten dabei sehr wohl auch die politischen Rahmenbedingungen widerspiegeln, bis hin zum späteren Versuch der Habsburger, die so entstandenen Strukturen für ihre eigenen politischen Ziele auszunutzen.

III.2 DER BOHNENKÖNIG – ROI DE LA FÈVRE (Dominik Fugger, Mainz)
Während die Bezeichnung „Bohnenkönig“ erst im 17. und 18. Jahrhundert allgemeine Verbreitung fand, lassen sich für die Regionen vor allem westlich des Rheins bereits für das 16. Jahrhundert entsprechende Bohnenkönigswahlen nachweisen, denen allen drei wesentliche Merkmale gemein sind: 1.) Die Wahl fand im Umfeld des 6. Januars statt. 2.) Das Königtum wurde mit einem Trinkgelage begangen. 3.) Der Bohnenkönig wurde durch Akklamation („der König trinkt“) geehrt. Die konkrete Ausgestaltung war allerdings von den soziokulturellen Verhältnissen abhängig, in die der Brauch eingebettet war, wurde das Bohnenkönigtum als schrankenloses Ritual doch durch alle Gesellschaftsschichten hindurch begangen. Die bisherige Deutung des Rituals als Umkehrung oder auch als Affirmation des politischen Königtums lehnt Dominik Fugger ab. Auf die Aussagen der Quellen selbst verweisend machte er deutlich, dass die Zeitgenossen in diesen Königen vielmehr Jesus Christus erkannten, war der 6. Januar doch zuallererst das Fest der Erscheinung Christi als Herr der Welt (Epiphanie). In diesem Zusammenhang, so Fugger, stelle das Bohnenkönigtum nicht primär einen Hierarchiebegriff sondern vielmehr eine Metapher der Seligkeit dar. Die Bohnenkönige seien somit im Grunde keine anderen Könige, sondern die einzig wahren Könige.

III.3 L’EVÊQUES DES INNOCENTS (Yann Dahhaoui, Rom)
Wie die anderen Könige die weltliche Hierarchie anführten, so standen zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest für eine kurze Zeit andere Bischöfe an der Spitze der geistlichen Ordnung. Im Mittelpunkt diese Rituals lag dabei das Gedenken an die in Bethlehem neu geborenen und auf Geheiß des König Herodes ermordeten Kinder (28. Dezember, daher auch episcopus Innocentium). So wählten die pueri der Stifte und Dome, d.h. die Kleriker, die nicht den höheren Weihegraden angehörten, selbst einen Kinderbischof, der Feste und Umzüge durchführte, sowie den Vorsitz über Teile der liturgischen Feiern in dieser Zeit innehatte. Zudem teilte er die Aufgaben, welche eigentlich den pueri zukamen, unter den älteren Klerikern auf. Anders als bei den anderen Königen stehen die anderen Bischöfe damit also tatsächlich für eine kurzzeitige Umkehrung der Hierarchie. Die Wahl der Festbischöfe entsprach dabei ganz der Zeremonie zur Wahl eines neuen Bischofs und wurde entsprechend auch durch die Übergabe der Insignien (Mitra, Bischofsstab und Bischofsring) vollzogen. Die Geschichtsschreibung hat aufgrund der zeitlichen Nähe die Wahl eines Kinderbischofs in die Tradition der römischen Saturnalien (17. Dezember) gestellt, was Yann Dahhaoui jedoch ablehnt, nicht zuletzt da die letzten Belege für Saturnfeierlichkeiten aus dem 5. Jahrhundert datieren, während die Wahl der ersten Festbischöfe frühestens ins 12. Jahrhundert fällt.

IV. DER KÖNIG IN DER GESELLSCHAFT – LE ROI DANS LA SOCIETÉ

IV.1 LES ROYAUTÉS DU CRIME, ENTRE MYTHE ET RÉALITÉ (Valérie Toureille, Pontoise)
Erste Hinweise auf ein im Sinne einer hierarchisch-monarchischen Struktur organisiertes Verbrechen finden sich ab Mitte des 15. Jahrhunderts in den Quellen. Der wohl bekannteste Fall, der durch einen aufsehenerregenden Prozess 1455 in Dijon zu Tage gefördert wurde, war der des roi de la coquille. Die spätmittelalterliche Öffentlichkeit war von der Vorstellung eines Königreiches der Verbrechen wie besessen, indes beruhte sie wohl lediglich auf Hören-Sagen. Grundsätzlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Verhältnis von sozialer Konstruktion und sozialer Wirklichkeit. Valérie Toureille verwies dabei vor allem darauf, wie sehr der Vorwurf einer solchen strikten inneren Struktur dieser Banden deren wahrgenommene Gefährlichkeit erhöhte. Sie stellte zudem die Frage, welche Realitäten sich tatsächlich hinter diesen royautés du crime verbargen. Mit dem Königreich der Verbrechen assoziierte man insbesondere die Welt der Diebe, später auch der Betrüger, Hexenmeister und Bettler. Diese die Phantasie der Zeitgenossen beflügelnde Gegengesellschaft erfuhr bis ins 18. Jahrhundert hinein eine beständige Ausdeutung, deren vollendetste Darstellung Henri Sauval in seiner Histoire et recherches des Antiquités de la ville de Paris liefern sollte.

IV.2 ROI DU JEU D’ÉCHECS (Michel Pastoureau, EPHE Paris)
Michel Pastoureau zeigte abschließend an der Figur des Königs im Schachspiel, welche Probleme mit der Übernahme und Adaption eines vorgegebenen Modells einhergehen, und dass dies erst unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Mitte des 10. Jahrhunderts gelangte das Schachspiel (pers. chah = König) aus dem persisch-arabischen Raum nach Europa und fand trotz kirchlichen Verbots spätestens im 12. Jahrhundert weite Verbreitung. Das Spiel stieß zunächst auf Unverständnis, hatte die feudale Kriegsführung, meist nur aus einer Kette von Gefechten bestehend, bisher nicht das „matt“ des Königs zum Ziel gehabt. Die Auseinandersetzung selbst war hier noch entscheidender als ihr Ausgang. Mit den Kreuzzügen des 13. Jahrhunderts und dem Aufkommen der „nationalen“ und dynastischen Kriege änderten sich allerdings Kriegstaktiken und -ziele, das Prinzip des Schachspiels entsprach dem neuen Konzept insofern besser. Hier nun, wie in Bouvines 1214, standen Könige und Fürsten tatsächlich im Mittelpunkt. Taktik, wenn nicht sogar Strategie, gewannen während der großen Schlachten an Bedeutung, den König zu schützen und dessen Gefangennahme oder Tod zu verhindern wurde erste Pflicht. Der Adaptionsprozess des Schachspieles im Okzident zeigt dabei, wie das Spiel allmählich nicht nur dem Modell einer Armee, sondern dem des königlichen Hofes angepasst wurde. So wurde z.B. aus dem ersten Berater des Königs dessen Königin. Das scheinbare Paradox, dass die wichtigste Figur des Spieles zugleich eine der schwächsten war, schien hingegen – zumindest im 12. und 13. Jahrhundert – niemanden zu stören: Der König sollte sich nicht als Kämpfer, vielmehr durch seine Erhabenheit (majesté), sein Gefolge und seinen Rat hervortun, mit denen er im Schachspiel wie bei Hofe eng verbunden war. Die Majestät des Königs drückte sich letztlich auch in der Gestaltung der Spielfigur aus, wo sie mit den entsprechenden Attributen versehen stets alle anderen überragte.

V. ZUSAMMENFASSUNG (Bertrand Schnerb, Lille 3)
Die vorausgegangenen Beiträge zusammenfassend stellte Bertrand Schnerb eine mögliche Typologie der anderen Könige zusammen, wobei er insbesondere auf die Unterscheidung zwischen einem „Königtum der Verkehrung“ (royauté d’inversion) und einem „Königtum der Übertragung“ (royauté de transposition) abhob. Auf die eine Seite stellte er dabei das Fest- und Spaßkönigtum (royauté festive et ludique) sowie das negativ konnotierte „Spottkönigtum“ (royauté dérisoire), wobei festzustellen ist, dass selbst diesen meist auch eine reelle Sanktionsgewalt innerhalb ihren jeweiligen Gruppen zukam. Auf die andere Seite wären das Berufskönigtum (royauté professionnelle) im Sinne der Organisation, Interessenvertretung und Repräsentation eines Berufszweiges und das institutionelle Königtum (royauté institutionnelle) einzuordnen, welches dank seiner institutionellen Verankerung über eine höhere Legitimität verfügte, bis hin zum Scheinkönigtum (royauté imaginaire et fantasmatique). Darüber hinaus klassifizierte Bertrand Schnerb die anderen Herrschaften nach Funktion, Bezeichnung, Dauer, Erblichkeit und Reichweite, nach ihren Attributen und ihrer Soziologie. Dabei wäre, so Bertrand Schnerb, vor allem hinsichtlich der finanziellen Aspekte der anderen Herrschaft weitere Aufarbeitung zu wünschen. Als verbindende Referenz der verschiedenen Ausprägungen der anderen Herrschaften verwies er auf den weltlichen Königshof und, in letzter Konsequenz, auf das Himmlische Königreich, um mit der Feststellung zu schließen, dass ausgehend von Jesus Christus als dem König der Könige auch der politische König nichts anderes als ein anderer König sei.

Die Tagungsakten werden Anfang 2008 als Band 4 in der Reihe „Ateliers des DHIP“ beim Oldenbourg Verlag in München erscheinen.


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